Die Entwicklung der Städtepartnerschaft

Veröffentlicht: Samstag, 14. April 2018

So kam es, dass sich erstmals vom 21. bis 31. März 1979 eine Gruppe junger Erwachsener im Alter zwischen 18 und 35 Jahren in Karlsruhe aufhielt. Dass die Gruppe aus Krasnodar stammte, war Zufall. Der Stadtjugendausschuss hatte sich nicht um eine bestimmte Stadt bemüht.  In der Folgezeit  war es das Bestreben des Stadtjugendausschuss, mit ein und derselben Stadt in der Sowjetunion in Kontakt zu bleiben. Das gelang zunächst jedoch nicht. Die erste Reise führte nach Mokau, Rostov Velikij und Jaroslawl. Erst ein Jahr später im September 1980,  nach nachdrücklich vorgebrachten Wünschen, fuhr die erste Karlsruher Gruppe, überwiegend  Jugendleiter aus den Mitgliedsverbänden des Stadtjugendausschuss, über Moskau nach Krasnodar. Dort wurde die Gruppe von den Freunden, die sie im Jahr zuvor kennengelernt hatte, in einer sehr herzlichen Atmosphäre begrüßt.  Von nun an führte der Stadtjugendausschuss jährlich ein Jugendaustauschprogramm für die Altersgruppe 18 bis 35-jährige mit Krasnodar durch. Das Programm wurde lediglich 1984 kurzzeitig unterbrochen, als das Bundesjugendministerium die organisatorische Abwicklung übernahm, mehrere Fehlleistungen produzierte und die Krasnodarer Gruppe nach Hanau schickte.  Für die Durchführung des Austausches waren einige organisatorische Besonderheiten notwendig. Die Unterbringung und sonstige finanzielle Aufwendungen für die Reisegruppe wurden jeweils vom Gastgeber getragen. Dadurch sollte vermieden werden, dass vor allem für die russische Seite Hindernisse bei der Beschaffung von Devisen entstehen. Das bedeutete, dass jede Seite nur die Transportkosten in das jeweilige andere Land trägt, während die gastgebende Seite für Unterkunft, Verpflegung und Programm im eigenen Land aufzukommen hat. Der Aufenthalt in der Sowjetunion wurde über den deutsch-sowjetischen Austauschdienst in Bonn und über das sowjetische Jugendreisebüro Sputnik abgewickelt. Das Programm in Krasnodar bestand neben Besichtigungen, Museumsbesuchen  und Reisen nach Noworossijsk oder in den Kaukasus auch aus Besuchen von Krankenhäusern und verschiedenen Schulen und Universitäten mit Deutschfakultäten. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass einer der ersten Abende in verschiedenen Gastfamilien verbracht wurde. So ergaben sich interessante Kontakte und Einblicke in eine Gesellschaft, die für uns bis dahin verschlossen war. In der Regel war es auch möglich, dass die neu gewonnen Freunde bei den Exkursionen oder Abendveranstaltungen mit dabei sein konnten. Wir haben dabei die hohe Kunst der Improvisation in Russland kennengelernt, wohlgemerkt unter Bedingungen, die man sich heute nicht mehr so recht vorstellen kann. Mobiltelefone gab es nicht und ein normales Telefon in einem Haushalt war eine Seltenheit. Die gewonnenen Kontakte werden zum Teil bis zum heutigen Tag gepflegt.

Mit dem zunehmenden Interesse entstanden bald auch Kontakte auf anderen Ebenen. Das Sinfonieorchester der Universität Karlsruhe gastierte in Krasnodar, Jugendverbände der beiden Städte, wie die Sportjugend und die Solidaritätsjugend, schlossen sich den Aktivitäten an. Die gestiegene Attraktivität Russlands als Reiseland seit Beginn der Gorbatschow–Ära 1985 trug dazu wesentlich bei. Gleichwohl war das Interesse an einer offiziellen Städteverbindung in Karlsruhe noch von großer Zurückhaltung geprägt. Aus den Teilnehmern der Begegnungsreisen bildete sich ein loser Freundeskreis, der auch das politische Ziel einer Städtepartnerschaft verfolgte. Die schwieriger werdende politische und wirtschaftliche Lage in der Sowjetunion  und konkrete Anfragen aus Krasnodar führten Anfang der 90er Jahre zu Überlegungen, bei uns konkrete Hilfsaktionen durchzuführen. Ich erinnere mich an eine Diskussion in einer Krasnodarer Klinik, bei der es darum ging, ob wir nicht Schmetterlingskanülen für Kinder besorgen könnten, die in der gesamten SU nicht zu beschaffen waren.  Der erste Hilfstransport wurde organisiert und brachte medizinische Ausrüstung, aber auch Bücher für Deutschstudenten nach Krasnodar, wobei wir darauf achteten, alle Hilfsgüter persönlich an den Bestimmungsorten zu übergeben. Und auch der Kontakt zu Krankenhäusern und Schulen wurde in den folgenden Jahren aufrechterhalten.  Die Reise selbst kann sicherlich als echtes Abenteuer bezeichnet werden. Keiner von uns kannte die Wegstrecke, Kartenmaterial war nur sehr unvollständig zu beschaffen. Auch war eine Planung der Übernachtungsgelegenheiten nicht möglich. Die gewählte Route ging über Österreich, Ungarn, die Ukraine, Moldawien und die Krim nach Kertsch am Asowschen Meer und mit der Fähre über die Meerenge von Kertsch auf die Tamaner Halbinsel und schließlich nach Krasnodar. Insgesamt 5 Tage für 3250 km wurden veranschlagt und auch benötigt. Viele Aufenthalte an Grenzen und  Diskussionen mit Zöllnern und Polizisten haben Zeit gekostet, aber irgendwie kamen wir immer weiter und konnten auch Probleme mit der Treibstoffbeschaffung und Reparatur der Fahrzeuge lösen.  Bis 1994 führten wir die Hilfstransporte selbst durch, ab 1995 wurde dann eine Spedition aus Dnjepopetrowsk mit dem Transport beauftragt. Das Kosten-Nutzen- Verhältnis war besser und es konnten auch mehr Güter transportiert werden. So konzentrierten wir uns dann in den nächsten Jahren auf die Betreuung der psychiatrischen Klinik in Krasnodar, die von Spenden aus Karlsruher Kliniken und verschiedenen Sanitätshäusern eine große Menge Ausrüstung, Krankenbetten und Möbel in gutem Zustand erhielt. Die Hilfstransporte stellten wir dann erst vor einigen Jahren nach Überschreiten der Grenze der Zahl von 50  ein, auch weil die Entwicklung in Russland dafür gesorgt hat, das sie überflüssig wurden. Die Resonanz der ersten Hilfstransporte in der Öffentlichkeit war sowohl in Karlsruhe als auch in Krasnodar beträchtlich und hat zusammen mit der Werbung bei politischen Gruppierungen dazu beigetragen, dass im April 1992 zwischen den Oberbürgermeistern beider Städte ein Freundschaftsvertrag unterzeichnet wurde, der bald darauf auch in den jeweiligen Stadtparlamenten ratifiziert wurde.  5 Jahre später wurde dann daraus eine offizielle Städtepartnerschaft.

Im Oktober 1992 wurde dann auch von den Aktivisten der Hilfstransporte die Freundschaftsgesellschaft Karlsruhe-Krasnodar e.V. gegründet, in erster Linie, um die Vorteile eines gemeinnützigen Vereins zu nutzen, aber auch um eine verbindliche Basis zu schaffen, weitere Aktivitäten zu starten.  In der Folge entwickelte sich eine ganze Reihe von Aktivitäten. Mehrere Schulen aus Karlsruhe organisierten Schüleraustausche  mit Krasnodarer Schulen. Es wurde ein Projekt entwickelt, bei dem  Deutsch–Studierende der Krasnodarer Kuban-Universität eine zertifizierte betriebswirtschaftliche Zusatzqualifikation erwerben können. Auch aus den Gewerbeschulen fanden Schreiner und Bäcker beider Städte zueinander. Für uns als Freundschaftsgesellschaft ist besonders erfreulich, wenn wir als Kristallisationskern wirken können und Projekte und Kontakte sich dann ohne unser weiteres Zutun selbstständig entwickeln und fortgeführt werden.  Bis zum heutigen Tage finden gemeinsame Veranstaltungen aus den Bereichen Sport, Kunst und Kultur in beiden Städten statt; sie im Einzelnen aufzuzählen würde den Rahmen wohl sprengen, wir hatten in den vergangenen Jahren jeweils im Durchschnitt über 500 Besucher aus Krasnodar, die aus den unterschiedlichsten Anlässen zu Besuch in  Karlsruhe waren. Besonders zu erwähnen ist der Besuch und Auftritt des Kuban– Kosakenchors in Karlsruhe zum 20-jährigen Jubiläum des Bestehens der Städtefreundschaft, ein ganz großartiges Geschenk der Stadt Krasnodar.  Die Stadt Krasnodar ist seit über 5 Jahren als regelmäßiger Aussteller auf der Offerta, einer der großen Verbrauchermessen, im Herbst in Karlsruhe mit einem sehr großen Stand und anspruchsvollem Präsentationsprogramm vertreten. Für viele Besucher eine Gelegenheit sich zu informieren, einen ersten Eindruck zu gewinnen und sich bei der Freundschaftsgesellschaft als Interessent für eine Bürgerreise einzutragen.  Mit der Eberhard-Schöck–Stiftung Baden Baden  gelang es uns, in den letzten Jahren mehrere größere Weiterbildungsprogramme für Bauhandwerker zu realisieren. Weitere Projekte in diesem Bereich sind in Planung, so will die Eberhard-Schöck–Stiftung in Krasnodar mit uns einen kompletten Ausbildungsgang für Fliesenleger einrichten, ein Vorhaben, welches auch finanziell neue Dimensionen hat.    Im Rückblick auf 25 Jahre erscheint mir Folgendes besonders erwähnenswert:
 
• Wir haben uns damals nicht vorstellen können, was sich aus diesen ersten Kontakten einmal entwickeln könnte, aber eine lange Folge kleiner Schritte bringt mitunter erstaunliche Ergebnisse.
 
• Der Satz: „Politik ist zu wichtig, als dass man sie Politikern überlassen sollte“ ist oft zitiert worden. Eine Städtepartnerschaft ist meiner Erfahrung nach das Medium, um diesen Satz mit Bedeutung zu füllen. Jeder kann sich einbringen und nach seinen Fähigkeiten mitwirken.
 
 
Autor: Christian Friedrich

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